Skyfall

Es ist 1 Uhr nachts. Ich bin wach. Jetlag.

Dass Japan die Endstation meiner Reise sein würde, habe ich bis vor ein paar Tagen auch noch nicht gewusst. Schon in Südostasien war ich teilweise sehr müde und satt vom Reisen. Eigentlich wollten Wolfgang und ich dort Urlaub machen und zur Ruhe kommen, aber stattdessen hatten wir viele Zwangsaufenthalte durch Unfall/ Krankheit oder Visaangelegenheiten an Orten, an denen wir uns nicht erholen konnten. Es wurde sehr heiß, wir fühlten uns nicht besonders wohl in Südostasien und wollten nur noch weg. So begann der Run auf Bangkok, der mit dem Flug nach Japan endete. In Japan fanden wir wieder klimatische und landschaftliche Bedingungen vor, die unserer Reiseart entsprachen. Wir zelteten viel, kochten selbst und wurden von den Japanern als Fremde wahrgenommen, die einen weiten Weg auf sich genommen hatten, um ihr Land kennen zu lernen. Ich konnte mir vorstellen, in Japan eine längere Pause einzulegen, aber es belastet die Reisekasse zu sehr, wenn man dort keine Arbeit hat. Und ich hatte keinen blassen Schimmer, welchen Job ich dort annehmen könnte, schon allein wegen der Sprachbarriere.

Unser ursprünglicher Plan nach Mittelamerika zu fliegen und bis nach Patagonien zu fahren, wurde von uns immer mehr in Frage gestellt. Wieder subtropisches Klima, doch dieses Mal gepaart mit der Regenzeit? Auf der Panamericana wieder touristisch ausgetretenen Pfaden folgen? Und dann diese riesigen Distanzen und die Zeit, die wir dafür brauchen würden… (an diesem Einwand merkt ihr schon, dass wir sehr müde waren).

Wolfgang lockten China, Russland und die Mongolei immer mehr und auch mir gefiel die Idee mich über Land auf den Rückweg nach Deutschland zu machen, anstatt durch wieder einen verhassten Flug nach Mittel- und Südamerika einen neuen Kontinent und damit eigentlich eine ganz neue Reise zu beginnen. Doch bei der Reise über den Landweg zurück, blieb die Frage des Überwinterns. China oder Kirgistan? Ich hatte wieder keine Ahnung, was ich dort monatelang tun könnte und musste mir eingestehen, dass die Geduld und die Offenheit sich auf etwas Neues einzulassen bei mir weg waren. Monate lang warten bis der Winter vorbei sein würde, dauerte mir zu lang. Ich wollte auch keine vorübergehende Bleibe mehr irgendwo, sondern wieder ein richtiges Zuhause. Und vom asiatischen Kulturraum hatte ich eigentlich nach einem Jahr auch genug. Also entschied ich mich von Japan nach Deutschland zurück zu fliegen.

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Der Rückflug geht dann allerdings viel zu schnell. In nur wenigen Stunden wird weggewischt, was ich mir mühsam in 15 Monaten erradelt habe. Noch dazu kommt, dass der Monitor im Flugzeug nicht die Flugroute auf der Karte mit dem aktuellen Standpunkt anzeigen kann. Ich wollte mich damit trösten, immer wieder hinunter zu sehen, dann auf der Karte zu schauen, wo ich mich gerade befinde, und mich daran erinnern, was ich dort erlebt hatte. So kann ich nur in die dunkle Nacht starren, sehe strahlende Lichtermeere von großen Städten, die sich wie Lavaströme durch ein schwarzes Nichts ziehen, oder sehe nur vereinzelte, glimmende Punkte. Aber ich kann nur erahnen, wo ich mich gerade befinde. Eine Metropole in China? Ein Dorf in Kirgistan? Eine Stadt im Iran? Ich versuche frustriert zu schlafen, was mir nicht gelingt. Bei meinem zweiten Zwischenstopp in Istanbul,dort wo der Bosporus Europa von Asien trennt, erleide ich einen Kulturschock. Plötzlich mehrheitlich europäische Gesichtszüge, die unterschiedlichsten Hautfarben, Frauen mit Kopftuch, ein Mann in einem weißen, pyamaähnlichen Anzug, ein Schild weißt den Weg zur Flughafenmoschee, von einem Plakat lächelt mir Cate Blanchet entgegen und überall blinken die Labels europäischer Marken. Das ist alles andere als ein smoother Übergang. Wie schön war es doch, sich langsam aus eigener Kraft in die große, unbekannte, weite Welt hinein zu bewegen… Ich bin überfordert. Der viel zu schnelle und harte Aufprall im Altbekannten und doch Ungewohnten schmerzt gewaltig. Ich fühle mich, als wäre ich aus einem anderen Universum hierher geschleudert worden. Ja, Flüge hatten uns noch nie gefallen!

Ich suche erstmal die Toiletten auf, um mich mit einem Blick in den Spiegel meiner selbst zu versichern und zu sammeln. Dann putze ich mir die Zähne, kämme meine Haare, zieh mein T-shirt aus und wasche mich. Ein paar Frauen, die gerade ihr Make-Up auffrischen schauen leicht irritiert. Vielleicht aufgrund der Selbstverständlichkeit mit der ich meiner Körperpflege in der „Öffentlichkeit“ nachgehe. Ich reagiere trotzig. Schließlich war ich 15 Monate darauf angewiesen, mich „öffentlich“ zu waschen. Aber mir dämmert, dass nun alles wieder anders werden wird. Körperpflege nur noch im privaten Badezimmer. Nicht in Flüssen, nicht in Seen, nicht an Brunnen, nicht an Waschbecken öffentlicher Toiletten, nicht in Onsen, nicht mit Wasserflaschen, Eimern oder feuchten Tüchern vor dem Zelt. Schlafen nur noch im eigenen Bett. Kein wildes Campen mehr in freier Natur. Picknick im Grünen nur noch als Event am Wochenende… Ich werde traurig. Mir war nicht klar, wieviel Freiheit ich aufgeben würde. Ein einfaches Leben ohne Zuhause ist anstrengend, weil man immer auf der Suche ist. Aber der offenbare Mangel eröffnet auch viele Spielräume, die sonst gesellschaftlich verschlossen sind. Ich werde Zeit brauchen, um mich vom freien Vagabundenleben zu verabschieden und wieder anzupassen.

Lieber Wolfgang,

du tust gut daran zurück zu radeln. Lass dir Zeit! Genieße es! Ich wünsche Dir glückliche Begebenheiten, menschliche Begegnungen und Momente, die Dein Herz berühren. Ich bin (Dir) dankbar und stolz darauf, wie weit wir zusammen gekommen sind.

Alles Liebe und auf Wiedersehen!

Ich steige in den nächsten Flieger. Istanbul – München. Dieses Mal lenke ich mich mit einem Film ab. Trotzdem dringen die Gespräche der Menschen um mich herum zu mir durch und ich kann sie verstehen. Man spricht wieder Deutsch! Ich lausche und wünsche mir im selben Augenblick nichts zu verstehen. „Kannst du mal die Kaugummis herumreichen?“ „Sie sitzen auf meinem Platz!“ „Das Rührei ist eine Zumutung.“ Lauter Belanglosigkeiten. Hingegen klingen Worte in einer Sprache, die man nicht versteht, immer so inhaltsreich und geheimnisvoll. Fast wäre mir ein fränkisches „hald dei Gosch“ raus gerutscht. Ich muss mich erst wieder daran gewöhnen, dass man auch mich wieder verstehen kann.

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Passkontrolle am Flughafen München. Am Durchgang prangt das Zeichen „Bundesrepublik Deutschland“. Ich bin gerührt und denke gleichzeitig an all die Menschen, die wir unterwegs getroffen haben, die unbedingt diesen Durchgang passieren wollen und keine Chance haben.

 

 

Ich warte auf mein Gepäck und hoffe, dass mit dem Fahrrad alles gut gegangen ist. Ich hatte die Räder abmontiert, den Lenker quer gestellt und den Sattel tief gestellt. Um die Pedale zu entfernen, fehlte mir das Werkzeug. Zum Einwickeln hatte ich auch nichts nur Klebeband zum Fixieren der empfindlichsten Teile. Aber die umsichtigen und mitdenkenden Japaner am Flughafen von Sapporo, haben es sorgsam verpackt und mit „fragile“ gekennzeichnet. Sollte also alles gut sein.

Ein Mann, riesig wie ein Grizzly, schiebt mein Fahrrad auf einer Lastkarre heran. Ich habe schon lange keinen so großen Mann mehr gesehen. Auch die ganze Körperhaltung ist anders. Brust raus, Bauch auch und die Schultern breit ausgestellt. Dieses Imponiergehabe istmir schon an den Männern im Flieger aufgefallen. „This is my bicycle!“ sage ich. Er schiebt es mir mit einem Brummen entgegen. „Thank you.“ sage ich. Ich werfe einen Blick darauf und sehe gleich, dass etwas nicht stimmt. Der Frontgepäckträger ist übel verbogen. Später stellt sich heraus, dass nicht nur der, sondern die gesamte Frontgabel einer heftigen Gewalt ausgesetzt worden war.

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Die Gabel ist auf jeden Fall hin und ich warte nun bange auf das Urteil des Fahrradmechanikers, ob mein Fahrrad überhaupt noch verkehrssicher ist. Der gesamte Rahmen könnte bei einer so heftigen, frontalen Gewalteinwirkung Schaden genommen haben. Meine Müdigkeit und meine Benommenheit schützen mich davor, die Fassung zu verlieren: 15 Monate, ca. 22 000 km, mehrere Transporte, Pamir Highway, Anapurna Circuit, zig mal umgefallen. Kein Schaden. Und jetzt das! An diesem Punkt kommt meine Reise wirklich zu einem Ende.

 

 

Ich tröste mich mit einem Vollkornkäsebrot, mit Leberkäs, Knödel, Bratkartoffeln, Schokoladenkuchen, Erdbeeren mit Sahne und einer Radler. Essen hält Leib und Seele zusammen, sagt man. Und ich kann spüren wie sich meine Seele ganz langsam, in weiter Ferne auf den Weg macht, um zu mir zurückzukehren.

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Morgen werde ich mein altes Fahrrad flott machen und eine Runde drehen, um den Kopf frei zu bekommen. Es wird dauern, aber ich werde ankommen, irgendwo…

 

Danke an alle, die mit mir gereist sind und mit mir in Verbindung blieben.

2 thoughts on “Skyfall

  1. Hallo Cora –
    hab einige deiner bloggs gelesen . Fand sie gut und hat mir spass gemacht.Die art die sachen anzusehen und zu reflektieren .
    War auch in einigen Ländern,durch die du gekommen bist und und deine schreibe war mir sehr nah,da ich es nachfühlen konnte,manche sequenzen waren mir so nah,als hätte ich sie geschrieben.Der Ausdruck und das vermittelte gefühl.
    Cora, du kannst schreiben,schreib doch einfach weiter…….

  2. Hey Cora,
    bin erst jetzt wieder dazu gekommen, euren Blog zu lesen – du bist ja schon wieder einen Monat in Deutschland! Wie geht es dir inzwischen? Hat deine Seele schon aufgeholt? Wo bist du gerade? Wenn und wann du magst können wir uns sehr gerne mal treffen – ich würde mich riesig freuen, auch wenn es erst nächstes Jahr sein sollte!
    Sei fest umarmt!
    Liebe Grüße
    Anke

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