Schöne neue Welt

Ich sitze in einem Cafe in Vientiane, nuckel an einem Caramel-Latte-Frappe und knabbere an einem Passionfruit-Cheese-Cake. Ich habe keinen Hunger. Es ist der pure Luxus. Wolfgang sitzt mir gegenüber, das Notebook aufgeklappt, und schreibt an einem Blogbeitrag. Ich blicke mich um. Die meisten Leute hier sind Europäer und wischen, tippen oder sprechen in ihre Smartphones. Das Wifi hier ist rasend schnell. Immer wieder kommt ein aufgedrehtes Girlie vorbei und macht ein Selfie vor dem Label des Cafes. Eine Haarsträhne verspielt um den Finger gewickelt, ein verwegener Blick über die Sonnenbrille, Kussmund und klick. Fertig ist das perfekte Selfie und der Beweis dafür, dass sie existiert. Und zwar nicht irgendwo sondern vor diesem anscheinend total angesagten Cafe. Da das Foto allein als Beweis noch nicht ausreicht, teilt sie es sofort mit all ihren 547 Facebookfreundinnen und -freunden und macht sie dadurch zu neidvollen Zeugen ihrer trendigen Existenz. Verächtlich ziehe ich die Augenbraue hoch und genehmige mir einen mitleidigen Schluck vom Caramel-Latte-Frappe.

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Perfektes Licht für ein Selfie im Tempel

Plötzlich steht ein verwahrloster Junge vor mir. Hinter ihm steht eine Frau vielleicht seine Mutter, ihre Hand liegt auf seiner Schulter, ihr Blick geht ins Leere. Anscheinend ist sie blind. Der Junge hält bittend die Hand auf. Ich verschlucke mich fast am Caramel-Latte-Frappe und versuche angestrengt ihn nicht anzusehen. Doch der Junge bleibt ruhig stehen. Er ist es gewohnt ignoriert zu werden. Die Leute um mich herum beschäftigen sich weiter intensiv mit ihren Digitaldevices. Verdammt, warum habe ich mein Smartphone nicht in der Hand? Ich werde nervös und schaue mich hilfesuchend um. Mein Blick bleibt an einem Schild hängen, das vor dem Cafe aufgestellt ist. Darauf steht: Please help our country. Dont give  money! Darunter ist ein durchgestrichener Bettler abgebildet.

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Ich atme erleichtert auf, schaue dem Kind in die Augen und versuche ein freundliches aber bestimmtes „No“. Doch heraus kommt nur ein Krächzen. Vermutlich von der Klimaanlage. Der Junge versteht mich trotzdem und zieht mit seiner Mutter weiter. Ich schlucke.
Wolfgang taucht hinter dem Notebook auf, er dreht den Bildschirm zu mir um und deutet mit einem ironischen Lächeln darauf. Ich sehe gelbe Streifen voller blauer Punkte und an manchen Stellen kann ich vor lauter blauen Punkten den gelben Streifen nicht mehr erkennen. Ich zucke verständnislos die Schultern. Wolfgang erklärt in Reiseleitermanier: Das Gelbe sind die unberührten Strände von Vietnam, Kambodscha und Thailand und das Blaue sind die Hotels. Echte Geheimtipps also. Ich werde mir das aber noch genauer bei Google earth ansehen. Ah ha. Hiermit ist er dann geplatzt der Südseetraum vom einsamen Zeltplatz unter Palmen mit Meerblick.
Mir ist der Appetit vergangen. Ich stehe auf und mache mich auf den Weg zurück zu unserem Guesthouse vorbei am Ibishotel, dem Irishpub, dem Café Parisien, dem italienschen Restaurant La Gondola, und dem Massagestudio Nirvana. Vor einem ATM liegt im Schatten einer Mülltonne ein Straßenkind und versucht zu schlafen. Damit es mich nicht bemerkt, gehe ich auf Zehenspitzen an ihm vorbei.

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Verschwitzt komme ich an unserem Guesthouse an und schalte erstmal den Ventilator ein. Dann ziehe ich mich aus und stelle mich unter die Dusche. Das Wasser kommt in einem kräftigen Strahl und endlos heiß aus dem Hahn. Eigentlich zu heiß für die tropische Außentemperatur, aber nach tagelanger Eimerdusche will ich mich nicht beschweren. Frisch geduscht schmeiße ich mich aufs Bett und atme tief den Geruch von frisch gewaschenen Laken ein. Ich schließe die Augen und möchte ein Nickerchen machen. Doch der Junge mit seiner Mutter und das Straßenkind lassen mich nicht los.
Hätten wir die Drei unterwegs in ihrem Dorf getroffen, hätten sie uns vielleicht eingeladen. Wir hätten auf dem Boden in ihrer Bambushütte gesessen, hätten mit ihnen Reis gegessen und Tee getrunken, hätten versucht uns mit Händen und Füßen zu verständigen dann meist nur freundlich angelächelt, hätten uns Abends am Brunnen gewaschen und das Plumpsklo benutzt und uns dann neben die Familie auf eine Decke gelegt, um zu schlafen. Und wir hätten gut geschlafen. Im Schutz einer Hütte unter freundlichen Menschen.

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Ob die Drei in der Hauptstadt ihres Landes auch so gut schlafen? Wachen sie eines morgens auf, gehen ins Bad, benutzen die Sitztoilette, duschen sich heiß, schlüpfen in frisch gereinigte und gebügelte Kleidung, steigen in ihren SUV, stehen im Stau auf asphaltierten Straßen während sie einen Coffee to go schlürfen und mit ihrem Smartphone den nächsten Urlaub buchen?
Tatsächlich wünsche ich ihnen, dass sie eines Tages von all dem Fortschritt und all den Annehmlichkeiten, die ihnen der Tourismus bringt, profitieren können. Und gleichzeitig hoffe ich, dass sie nie vergesssen, nie verleugnen, sich nie dafür schämen, woher sie gekommen sind. Denn es gibt keinen Grund dafür.

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One thought on “Schöne neue Welt

  1. Hallo Cora,
    Deine Beschreibung mit all Deinen Gefühlen läßt sehr intensiv teilhaben an Deiner Auseinandersetzung mit diesen sooo unterschiedlichen Eindrücken. Es zeigt mir auch, dass ich mich immer wieder neu positionieren muss zu dieser, auf mich so trostlos, einsam wirkenden Smarthphonegesellschaft und auf der anderen Seite dieser Armut und Chancenungleichheit. Der Tourismus erscheint mir jedenfalls nicht als der Allheilbringer nur eine kurzfristige, scheinbare Besserung der Lebensumstände.
    Eure Art zureisen läßt Euch jedenfalls in Kontakt bleiben mit Euch und der Realität.

    HERZ—liche Grüße
    G@bi

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