Eine Drahteselwanderung

Im Iran begegneten uns die ersten tierischen Esel auf unserer Reise und ich schloss sie sofort ins Herz. Auf den ersten Blick sind Esel gemütlich, geduldig und unaufgeregt. Kein Fahrzeug kann sie aus der Ruhe bringen oder gar dazu bewegen aus dem Weg zu gehen. Auch wir nicht. Und ich glaube nur ein guter Reiter mit ständigem Hacken Einsatz bringt es fertig, sie auf Trab zu bringen. Manch ein Esel muss stundenlang mit einer schweren Last auf dem Rücken und zusammengebundenen Beinen an einem Hang stehen. Dann platzt selbst diesem genügsamen Tier der Kragen und sie befreien sich mit lautem Klagen vom ganzen Elend der Welt, das auf ihnen zu lasten scheint. Das Ihhh klingt wie ein langes, heißeres Einziehen von Luft und das Ahhh wie ein kurzes Aufstoßen. Hört ein Esel das Geschrei eines Artgenossen stimmt er solidarisch mit ein, denn schließlich hat er selbst es auch nicht leicht. Aufgrund all dieser sympathischen Eigenschaften möchte ich eine Wanderung mit Esel machen…

Der Pamir Highway lag schon zu lange zurück, so dass seine Strapazen in der Erinnerung nicht mehr spürbar waren. Uns stand der Sinn nach einer neuen Herausforderung: Der Annapurna-Circuit. Ein Rundtrek um den Annapurnahimal, der auf 5416 m kuliminiert. Alle Fahrradfahrer, deren Meinung wir aus erster oder zweiter Hand einholen konnten, rieten den Trek nicht mit dem Fahrrad zu machen. Und wenn doch, dann ohne Gepäck. So machten wir uns also auf den Weg mit unseren Rädern, zwei Lenkertaschen und drei Fronttaschen. Zwei für mich, eine für Wolfgang.

Am ersten Tag freute sich mein Drahtesel so sehr darüber, wohlbehalten und nur leicht bepackt vom Dach des Busses zu kommen, mit dem wir von Kathmandu nach Dumre gefahren waren, dass er beschwingt und flink die 40 km bergauf nach Besisahar trabte. Auch am zweiten Tag meisterten wir die ersten Unebenheiten auf dem Weg fast mühelos. Aber bereits am dritten Tag zeigte sich mein Drahtesel mit unserer Route nicht mehr einverstanden und stemmte seine zwei Räder vor jeder Geröllansammlung und jedem steilen Anstieg störisch in den Boden, so dass ich ihn nur mit Schieben und Drücken fort bewegen konnte. Bereits am Vormittag war ich so erschöpft, dass ich  mir nicht mehr vorstellen konnte, wie ich ihn   auf ähnlichem oder schlimmerem Terrain in luftiger Höhe zu einem weiteren Schritt motivieren sollte. Wolfgang erbarmte sich unser und nahm meinem Drahtesel sein Gepäck ab, denn seiner erwies sich als wesentlich lauffreudiger. Und tatsächlich ging es nach dem Mittagessen wieder flotter voran.

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An Tag Vier und Fünf gingen mein Esel und ich einen Kompromiss ein. Halb trug er mich, halb schob ich ihn. Ich wurde gelassener und begann die Wanderung mit meinem Drahtesel zu genießen, denn ich konnte in aller Ruhe die wunderschöne Landschaft  betrachten, während ich ihn schob. Wenn er mich trug, musste ich allerdings sehr aufpassen, wo er hinlief und ständig gegenlenken. So ging es ganz langsam immer weiter.

In Manang endete die „Straße“ und nur noch ein schmaler Wanderpfad führte die letzten 2000 m zum Thorung La Pass hinauf. Ab hier legte mein Drahtesel eine ganz neues Ausmaß an Sturheit an den Tag. „Stufen? Vergiss es!“ schien er zu sagen und legte sich erstmal hin. Also trug ich ihn. Stufe um Stufe. Wolfgangs Esel wurde auch getragen, aber Tragepassagen gehören schließlich zu einer richtigen Mountainbiketour dazu… Habe ich bereits erwähnt, dass ich Citycruiserin bin und keine Mountainbikerin? Daher ist es auch meiner mangelnden Fahrkunst zuzuschreiben, dass ich meinem Drahtesel nicht zutraute, auf dem schmalen Pfad zu bleiben, der sich den Abhang die kommenden Tage entlang schlängeln sollte. Also schob ich…

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Am Landslide kurz vor Thorung Pedi war dann auch die Genusswanderung vorbei, denn nun galt es möglichst unverkrampft alle Füße und Räder zusammenzuhalten, um nicht abzurutschen. In Thorung Pedi auf 4560 m bekamen mein Esel und ich eine wohlverdiente Pause und ein Kartoffelcurry. Nach ein  paar Stunden Erholung machten wir uns dann auf ins Highcamp auf 4900 m. Mein Drahtesel gab sein Bestes, aber es fühlte sich trotzdem an, als würde ich ihn mit ausgestreckten Armen hoch über meinem Kopf den Berg hinauf tragen. Ach was sag ich „Berg“. Steil wie eine Wand war das Ding, das 400 Höhenmeter auf möglichst wenig Strecke verteilt hatte. Ich fluchte, hiefte, rutschte, schob und drückte den Esel die Wand hinauf. Spätestens hier war klar, wer bei dieser Unternehmung wirklich der Esel war.

Am nächsten Tag verließen wir bereits in der Morgendämmerung das Highcamp. Es lagen noch 500 Höhenmeter vor uns bis zum Pass. Wir schoben um die erste Kurve und vor uns lag ein schmaler Pfad bedeckt mit Eis und Schnee. Wolfgang schiebt im Zeitlupentempo erst seinen dann meinen Drahtesel über die Rutschpartie, während ich Esel voller Panik hinterher eiere, beide Hände in den Hang links von mir gekrallt, um nicht den Hang rechts von mir hinunterzurutschen. Es sollte sich heraus stellen, dass sich bis zum Pass und auch noch danach immens steile Abschnitte mit komplett vereisten hübsch abwechselten. Zweimal kamen uns an den schwierigsten Stellen gut gelaunte Nepali zu Hilfe, die eben mal am Vormittag zum Pass hinauf spazieren und dann wieder hinunter.

Es geht höher und höher. Und die Luft wird dünner und dünner, so dass uns langsam aber sicher die Puste ausgeht. Mein Drahtesel wiegt Tonnen. Alle fünf Schritte halte ich an, um zu Atem zu kommen. Ich finde durch das Schieben keinen Lauf-Atem-Rhythmus. In einer unserer Verschnaufspausen fällt mir auf wie still es um uns herum ist. Totenstill. Alle Treker die mit uns an diesem Morgen aufgebrochen sind, haben uns überholt. Wir sind allein. Der strahlendblaue Himmel kann mich nicht beruhigen, ich breche in Tränen aus. Bei Sauerstoffmangel ist das nicht hilfreich und deshalb höre ich sofort wieder auf mit meinem kläglichen Ihhh Ahhh. Ich will das Rad stehen lassen und ohne weiter zum Pass. Doch Wolfgang meint, es sei nicht mehr weit. Wir schieben weiter und weiter, und irgendwann nach 4,5 Stunden erreichen wir den Pass.

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Doch auch der erhoffte Fun-Part einer endlosen Abfahrt blieb aus. Der Pfad hinunter ist viel zu steil und steinig und immer wieder kommen vereiste Abschnitte. Mein Drahtesel aber ist kaum zu halten. Er zieht mich hinter sich her und ich muss mich mit aller Kraft dagegen stemmen und an den Zügeln reißen. Mit zitternden Beinen und schmerzenden Händen erreiche ich nach weiteren fünf Stunden Muktinath auf  3800 m. Nach 8 Monaten Fahrradfahren waren meine Wandermuskeln wohl so gut wie abgebaut. (Deshalb haben wir ja die Räder mitgenommen. Ha ha!)

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Am nächsten Tag steckten mir die Strapazen noch schwer in den Knochen. Und auch mein Drahtesel hatte gestrichen die Nase voll und versuchte mich mit allen Mitteln auf den folgenden ca. 90 km abwärts nach Beni abzuwerfen. Also Helm aufgesetzt und irgendwie im Sattel geblieben. Es ging steil hinunter über Stock und Stein, durch Wasser und Sand. Der Drahtesel hüpft, bockt, rutscht, quietscht und scheppert. Die Zügel waren bald durch und so konnte ich nur noch durch Abspringen den Drahtesel zum Stehen bringen. Das Vorderrad rutschte nach links, das Hinterrad nach rechts. Der Lenker stellte sich quer, der Esel verlor das Gleichgewicht. So sah sie aus meine Feuertaufe zur Mountainbikerin! Doch wie durch ein Wunder erreichten ich Esel und Drahtesel nach drei Tagen ohne Schäden Beni und die asphaltierte Straße nach Pokhara.

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One thought on “Eine Drahteselwanderung

  1. Wir können unseren Kommentar zum Annapurna Circuit nur wiederholen und noch herausheben, dass Euer Blog u.a. durch seine Unterhaltsamkeit und Ehrlichkeit besticht.

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