Fünf Tage Turkmenistan

Tag 1: Wir bekommen den Ausreisestempel für Iran und überschreiten die Grenze. Meine erste Handlung: Kopftuch abstreifen, obersten Hemdknopf oeffnen und durchatmen. (Die Kleidervorschriften im Iran waren nicht so schlimm, aber auf Dauer doch sehr umständlich und unpraktisch für mich.) Nach unzähligen Kontrollen dürfen wir dann endlich turkmenischen Boden betreten. Unser Plan nach Ashgabat hinunter zu rollen, wird durchkreuzt, da wir nicht durch militärisches Gebiet fahren dürfen. Also ins Taxi und das ist gut so, denn es geht alles andere als nur runter. Der erste Eindruck von Ashgabat ist: weiß. Der Zweite sind zahllose vermummte Menschen (sie werden die letzten Überlebenden genannt) in sengender Hitze, die putzen, polieren und Unkraut jähten, um der Stadt zu dem ersten Eindruck zu verhelfen. Mir ist das zu schräg. In einer Wüstenstadt tagtäglich das Unmögliche zu versuchen, nämlich keine Wüstenstadt zu sein. Frei von Staub und Sand mit vielen, vielen Springbrunnen (keine Ahnung wo das Wasser herkommt) und weitläufigen Grünflächen. Wir versuchen durch die Stadt zu fahren werden aber immer wieder laut rufend und wild gestikulierend umgeleitet, weil Touristen nicht überall hin dürfen und auch fast nichts fotografieren dürfen. Ich bin zunehmend irritiert. Alle bezahlbaren Hotels sind voll, aber wir dürfen ab 23 Uhr nicht mehr auf der Straße sein und so sind wir sehr froh, als wir Tim treffen, der uns zu sich nach Hause einlädt. Dort haben wir eine kühle erholsame Nacht.

Ashgabat so weiss
Ashgabat so weiss

Tag 2: Wir fahren aus der Stadt raus in die Wüste. Ich merke wie in mir die Panik hoch steigt, weil es so verdammt heiß ist und natürlich kein Schatten in Sicht. Mein Kopftuch habe ich inzwischen zu einem Gesichtsschutz umfunktioniert gegen Staub und Sonnenlicht. Ich sehe nun auch aus wie eine der letzten Überlebenden und fühle mich auch so. Wir wollen trampen und in die Mitte der Wüste fahren, weil dort der legendäre Gaskrater ist, der seit 30 Jahren brennt. Viele leere Transporter fahren an uns vorbei und wir sind langsam frustiert. Schließlich hält ein Opel, der uns mitnimmt. Der Fahrer fährt wie ein Irrer durch die Wüste. Mehrmals fliegen die Radkappen weg und der Motor überhitzt langsam aber sicher bis er schließlich irgendwo im nirgendwo explodiert und nichts mehr geht. Nun möchte der Fahrer 200 $ von uns. Ich flippe aus und schreie ihn an, dass ich keine scheiß 200 $ habe. Wir haben eine böse Auseinandersetzung mit dem Fahrer. Nach telefonischer Rücksprache mit Tim zahlen wir schließlich 200 Manat und müssen 30 km durch die Wüste bis zum nächsten Teehaus, dessen Existenz nicht gewiss ist, radln. Es ist dunkel als wir dort endlich ankommen. Der Gaskrater ist 5 bis 8 km entfernt mitten in der Wüste. Wir können sein Glühen sehen, aber ich bin zu erschöpft, um mich noch über Sanddünen zu kämpfen. Wolfgang geht los mit einer Wasserflasche, GPS, Kompass und Stirnlampe. Ich bin froh als er nach 3 Stunden zurück ist. Er ist erschöpft aber glücklich. Wir übernachten im Teehaus.

irgendwo im nirgendwo
irgendwo im nirgendwo

Tag 3: Wir warten am Teehaus auf den Bus nach Konye Urgench unserem Austrittsgrenzübergang. Doch der Bus fährt vorbei. Auch der zweite Bus fährt vorbei. Und so müssen wir den Dritten nehmen, der uns zumindest nach Dashoguz bringt im Norden von Turkmenistan. In Dashoguz gehen wir etwas Essen und geben dank der teuren Wüstenfahrt unsere letzten Manat aus. Nun haben wir nur noch Rial, die keiner wechseln will und Dollar, die wir eigentlich brauchen, um weiter zu kommen. Wir irren durch die Stadt, um irgendwo an Geld zu kommen. Vergeblich. In der Zwischenzeit geht es mir körperlich zunehmend schlechter. Ich fühle mich schwach, mir tut alles weh und die Hitze um mich herum wird immer unterträglicher. Wolfgang gelingt es uns eine Unterkunft in einem Hotel für die Nacht zu organisieren, die wir vielleicht wegen Vitamin B nicht bezahlen müssen. Ich lege mich ins Bett und das Fieber steigt und steigt und schließlich ist der Magen-Darm-Infekt perfekt. Mir wird klar, dass ich am nächsten Tag nicht weiterreisen kann, schon gar nicht mit dem Fahrrad.

Tag 4: Ich schleppe mich zur Hotelrezeption und bitte sie die Deutsche Botschaft anzurufen. Ich möchte, dass jemand dem Hotel unsere Situation erklärt. Ich bin krank, deshalb können wir nicht weiter und wir haben kein Geld. Der Botschafter spricht weder turkmenisch noch russisch aber er organisiert eine Übersetzerin. Das Hotel bietet an, uns zur Grenze in Dashoguz zu fahren, aber wir können dort laut deutscher Botschaft nicht raus, weil der Eintrag auf dem Visum Konye Urgench verbindlich ist. Auch das erklären wir wieder mit Händen und Füßen. Wolfgang macht sich auf zu einer langen Irrfahrt durch die Stadt auf der Suche nach Geld. Aber es ist zu allem Überfluss auch noch ein Feiertag. Ich liege auf Trümmern und bin fix und fertig. Ich bitte das Hotel Tim anzurufen, da ich eine online Überweisung machen möchte, um das Hotel zu bezahlen. Das Hotel würde eine Onlineüberweisung akzeptieren, hat aber kein Internet. Tim möchte einen Freund vorbei schicken, der uns eine Internetverbindung ermöglicht. Wolfgang kommt zurück. Er hat auf seiner Expedition Nuri getroffen, der uns helfen möchte. Wir können zu ihm kommen und dort bleiben. Seine Schwester ist Ärztin und kann mir helfen. Wir brechen im Hotel auf. Die Rezeptionistin ist irritiert. Warum wir gehen wollen? Wir müssen nichts bezahlen und können noch ein zweite Nacht umsonst bleiben, weil Feiertag ist (Das Vitamin B hat gewirkt. Anscheinend hatte Wolfgang am Vortag einen einflussreichen Mann getroffen.). Wir schauen uns ungläubig an. Und warum dann dieser Aufstand den ganzen Tag, den das Hotel sehr wohl mitbekommen hat: Botschaft, Tim, Onlineüberweisung, Wolfgang der durch die Stadt hetzt…? Wir bedanken uns und checken aus. Bei Nuri wartet seine Schwester auf uns. Ihr gefällt mein Zustand nicht und sie gibt mir mehrere Infusionen, bis ich anfange zu schwitzen und sie zufrieden ist. Schließlich MÜSSEN wir morgen ausreisen.

Tag 5: Nuri begleitet uns zum Busbahnhof. Wir haben nur noch wenige Dollar, deshalb wollen wir mit dem Bus zu unserem Grenzübergang fahren, der noch 100 km entfernt ist. Der Busfahrer ist ein Volltrottel und will uns nicht mitnehmen, obwohl der Bus leer ist. Auch als ich versuche ihm zu erklären, dass ich krank bin und nich radeln kann, putzt er weiter seine Fenster. Also Taxi. Nuri und seine Schwester haben uns zum Glück Geld geliehen, das wir bei nächster Gelegenheit in Uzbekistan per Western Union zurückzahlen. Also mit dem Taxi nach Kony Urgench. Dort erfahren wir, dass unser Grenzübergang geschlossen ist und wir zurück müssen nach Dashoguz. Wieder schauen wir uns ungläubig an. Und warum dann der ganze Aufstand? Das Hotel hätte uns zur Grenze gefahren, wenn der Botschafter gewusst hätte, dass die Grenze bereits seit 4 Wochen geschlossen ist… Also wieder zurück nach Dashoguz. Dieses Mal immerhin im Sammeltaxi. Dann 15 km zur Grenze radln und nachdem alle unsere Taschen gründlichst durchsucht worden sind und wir einer peinlichen Befragung unterzoge wurden, warum wir zwei Nächte in Dashoguz waren und bei wem überhaupt (Merke: Bei Transitvisum keine zwei Nächte am selben Ort und in Turkmenistan allgemein keine Übernachtung in Privatunterkünften), dürfen wir endlich ausreisen.

Hallelujah!

Besonderen Dank an Tim, Marian, Nuri und Familie!

Koney Urgench
Koney Urgench

3 thoughts on “Fünf Tage Turkmenistan

  1. Oh mann!!! Gänsehaut! Tut mir sehr Leid zu hören, dass es dich sooo erwischt hat, aber zum Glück habt ihr wen gefunden, der euch geholfen hat. Hoffentlich geht es dir wieder besser bzw hattest einen Platz, wo du wieder einigermaßen zu Kräften kommen konntest/ kannst!!! 🙂
    Wünsch euch weiterhin alles Gute und bei allem viel Glück ! Glg aus Wien

  2. Hallo Ihr Beiden,
    mir geht es wie Leo, Gänsehaut,! Das ist wirklich eine harte Probe für Euer Durchhaltevermögen. Es klingt, als hätte man sich nicht über Euch gefreut. ABER! immer wieder tauchen Menschen auf (DANKE auch von mir: an Tim, Nuri und Marina) die so offen und hilfsbereit sind. Ich bewundere sie, denn ich kann viel von Ihnen lernen. Wenn ich hier bei uns die Flüchtlinge sehe, muss ich auch immer an Euch denken, denn dieses Ausgeliefertsein dem „good will“ der Behörden, dem Mitgefühl und der Empathie der Bevölkerung, das ist wohl gleich.
    Wünsch Euch weiterhin, dass Ihr gesund werden könnt und immer wieder hilfsbereite Mitmenschen trefft.
    Drücke ganz fest meine Daumen…. 😉

  3. Hello, Wolfgang and Cora,
    Was worried about about if it everything ok or not.
    Very nice that now You are online.
    Marina also sends greetings and hugs from her. Keep moving!
    If anything I can help, you can still send me e-mail or call.I have friends they can help…
    Looking forward to your posts.
    With Best Regards,
    Tim.

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