Wolfgang und ich verstehen uns als Reisende nicht als Touristen. Das zeigt sich schon daran, dass wir sogenannte Sehenswürdigkeiten wenn überhaupt nur zufällig entdecken und dann auch nur selten als solche erkennen. Manchmal führt das zu peinlichen Momenten, wenn Einheimische fragen, ob wir dies und das schon gesehen haben oder uns doch bestimmt ansehen wollen, und wir in der Regel keine Ahnung haben, wovon die Rede ist. Dann werden Handys gezückt und Fotos gezeigt von allen Schätzen, die das Land zu bieten hat. Wir starren dann angespannt auf das Display und versuchen irgendetwas wieder zu erkennen. Ab und zu können wir dann auf eines der Bilder zeigen und mit erhobenen Daumen zu verstehen geben, dass wir dort waren und es natürlich ganz toll fanden. Meist atmen dann beide Seiten erleichtert auf.
Umgekehrt haben wir festgestellt, dass Einheimische mit unseren Fotos nicht viel anfangen können. Wir fotografieren Berge, Flüsse, Sonnenuntergänge und -aufgänge, das Meer, den Strand, Wiesen und Felder, Müll und natürlich unsere Fahrräder… Der zunächst Interessierte hat dann bald Mühe ein Gähnen zu unterdrücken.
Anders als Touristen machen wir auch keinen Urlaub. Reisen hat nichts mit Erhohlung zu tun, denn es geht immer weiter und weiter, und es gibt immer etwas zu tun. Für so manchen Gastgeber ist auch das nur schwer nachvollziehbar. Sie erwarten einen aufgeweckten Gast, der bei seinem Aufenthalt möglichst viel sehen und erkunden möchte. Wolfgang und ich freuen uns dagegen wie Schnitzel, wenn wir uns auf ein Sofa legen können und nichts tun.
So lange wir unerkannt bleiben, ist das alles kein Problem, aber mit wachsender Entfernung von der Heimat werden wir immer öfter als Fremde erkannt und fallen dadurch vor allem in den Städten automatisch in die Kategorie Tourist. Vor allem Wolfgang mit seiner Größe, seinem blonden Schopf und seinem roten Bart fällt sofort auf und wird so leichtes Opfer von geschäftstüchtigen Teppichhändlern, zertifizierten Reisebegleitern und investigativen Interviews. Manchmal wird die Bezeichnung Tourist auch hinter uns her gezischt, so dass sie sich eher wie Terrorist anhört und als würden wir die Grundordnung des Landes gehörig stören oder zumindest gefährden. All diese misstrauischen Menschen kann ich beruhigen. Wir haben keine Zeit Unruhe zu stiften, wenn wir in eure Städte kommen. Wir haben aber auch keine Muße eure Sehenswürdigkeiten gezielt anzuschauen. Wir müssen Botschaften suchen, Visa beantragen, Visa abholen, Geld beschaffen, Unterkünfte klar machen, Lebensmittel einkaufen, Internetcafes finden, die Ausrüstung vervollständigen, die Räder pflegen, Transportmittel organisieren, Postämter ausfindig machen und planen, planen um weiter zu REISEN. Aber auf all diesen Irrgängen durch eure Städte laufen wir an vielen sehenswerten Dingen vorbei, da könnt ihr euch sicher sein.
Wenn wir auf unseren Rädern unterwegs sind, werden wir hingegen als Reisende gesehen und als Reisende werden wir eingeladen: auf einen Tee oder Kaffee, Obst aus dem Garten, ein Essen oder eine Übernachtung. Bei diesen Gelegenheiten kommen wir in engen Kontakt mit den Leuten und erhalten einen Einblick in ihr Leben und ihre Kultur. Und anders als bei Touristen ist nicht Geld der Türöffner sondern unser Fortbewegungsmittel.
Ein besonderer Moment, an den ich mich immer wieder gerne erinnere (nicht wirklich!) war in Samarkand, als mich Jerome (ein anderer Fahrradreisender) fragte, ob wir schon im Registon waren und ich antwortete:
„Nein, wir wollen erst spaeter in den Supermarkt gehen, aber der Registon Supermarkt ist wirklich gross, da sollte man alles bekommen.“
Jerome hat daraufhin lange unglaeubig gelaechelt und schliesslich gesagt: „Der Registon ist wie der Eiffelturm in Paris. Die Leute kommen deshalb nach Samarkand“
Wir waren dummerweise vorher an einem Supermarkt vorbeigelaufen, der gross „Registon“ ueber dem Eingang stehen hatte. Leider war mir zu dem Zeitpunk nicht klar, dass das der Name DER Sehenswuerdigkeit in Usbekistan ist.
Man lernt nie aus…
Liebe Reisende,
beruhigt, dass es Ihnen gut geht, sende ich Ihnen viele Grüße aus Heilbronn und wünsche Ihnen weiterhin gute Kontakte und freie und leichte Wege.
Hier in Deutschland fühlt man sich seit Wochen wie in Südeuropa. Alle Wiesen um Heilbronn herum sind braun und die Weinberge müssen bewässert werden, soll es auch 2015 einen Trollinger oder Lemberger geben.