Hello Sir!

Es ist Abend und ich radel gedankenlos vor mich hin, weil um mich herum der Verkehr braust und hupt und damit jeden klaren Gedanken verhindert. Ein Motorrad verlangsamt seine Fahrt neben mir und der Fahrer schmettert mir ein freundliches „Hello Sir“ entgegen. „Hello“ antworte ich müde und leicht irritiert, wenn mir auch der Grund der Irritation noch nicht bewusst ist. „Where are you going, Sir?“ „I´m going to a guesthouse.“ antworte ich. Nun wirkt der Fahrer irritiert. Er unterzieht mich einer genaueren Musterung und braust beschämt davon. Obwohl ich verärgert bin, dass er mich für einen Mann gehalten hat, muss ich lachen. Ich überlege, wie es zu dem Irrtum kommen konnte. Und tatsächlich. Alle Frauen in Indien sehen aus wie geschmückte Weihnachtsbäume: eingewickelt in bunte Tücher, die mit Gold- und oder Silberfäden durchwoben sind und mit Ornamenten verziert, behangen mit Schmuck an allen möglichen Körperteilen (Armreifen, Ringe, Nasenringe, Ohrringe, Fußketchen, Zehenringe), Hennatatoos an Armen und Händen und dazu die legendäre Haarpracht. Ich hingegen trage Hose, Hemd, Kappe, Sonnenrille und meine Haare sind aus praktischen Gründen nur noch kinnlang. Außerdem fahre ich Fahrrad.

Sir or Madam?
Sir or Madam?

In Indien ist mir bisher keine Frau auf dem Fahrrad begegnet außer auf dem Gepäckträger. Sowie mir überhaupt schon lange keine Frau mehr begegnet ist die Lenker oder Zügel selbst in der Hand hält. Im Iran keine Motorradfahrerin,  in Tadschikistan keine Reiterin auf dem Esel und in Kirgistan keine Reiterin auf dem Pferd. Noch dazu ist Fahrradfahren in Indien unterste Schublade also ein Zeichen für eine sehr niedrige Kaste. Jeder der  es sich irgendwie leisten kann fährt mindestens Motorrad. Da die Luft um mich herum ohnehin schon zum Schneiden ist, frage ich mich wohin das führen soll. Aber das ist ein anderes Thema.

Szenenwechsel.

Wir radeln durch Nepals Süden. Die Dichte der Fahrradfahrerinnen hat beträchtlich zugenommen. Bereits an der Grenze zu Nepal.

Mit Schirm, Charme...
Mit Schirm, Charme…
...und Heu.
…und Heu.

Wolfgang ist voraus und außer Sicht. Ich passiere einen Militärcheckpoint. Ein Soldat ruft mir hinterher „Stop!“. Eigentlich habe ich keinen Bock auf ein Gespräch mit einem Dude, denn erfahrungsgemäß machen die nur Probleme. Aber der Dude ist bewaffnet und hat damit die besseren Argumente. Ich halte also an. „Come!“ befiehlt er. Widerwillig kehre ich um und stehe ihm schließlich dirket gegenüber. Das Verhör beginnt:

„Where are you from, Sir?“ „From Germany, but…“

„How much did you pay for your bicycle, Sir?“ „2000$“, sage ich provozierend, weil ich die Nase voll davon habe wie die unterste Kaste behandelt zu werden, nur weil ich Fahrrad fahre. „…but…“ möchte ich hinzufügen.

„Where is your money, Sir?“ Aha, jetzt will er also Geld, denke ich, und werde wütend. „I don’t have money with me and I’m NOT Sir! I’m a woman!“ stelle ich klar und muss mich schwer beherrschen.

„OK, Sir. I don’t want money, Sir.“ antwortet der Dude und fährt ungerührt mit seinem Verhör fort. „Do you have a map, Sir?“ Jetzt reicht es mir. „I AM NOT SIR, o.k.! I am a woman. And I don’t have a map but my husband has a GPS and I have to go now because he is in front!“

„Husband?“ Der Dude ist sichtlich verwirrt und nimmt mich genauer ins Visier. „O.k. you can go.“ meint er schließlich.

Ich trete wütend in die Pedale. „Husband“ ist also das Schlüsselwort, das mir Türen öffnet und andere verschließt. „Husband“ hält mir ungewollte Anmache vom Hals und entlässt mich aus Verhörern. „Husband“ bedeutet aber auch, dass alle Kommunikation über „husband“ läuft, selbst die Frage nach meinem Namen. Dass ich  Essen nicht selbst bestellen oder ablehnen kann. Selbst wenn ich eben noch vor versammelter Mannschaft meinen Mageninhalt entleert habe und mir schon der Geruch von Hammel neue Wellen der Übelkeit beschert, wird Wolfgang gefragt, warum seine unartige Frau denn nichts essen will. Ich bekomme serviert,  was „husband“ isst oder gar nichts. Auch dann wenn nur „husband“ Magen-Darm-Probleme hat und deshalb nur blanken Reis möchte.

Husband
Husband

Meine Wut lässt mich gut in Fahrt kommen und ich überhole einen Nepalesen auf dem Fahrrad. Oh oh, das hätte ich nicht tun sollen. Denn nun beginnt das Rennen. Inder und Nepalesen lassen sich nämlich nicht so einfach überholen. Nicht von Touristen, speziell nicht von Amerikanern und schon gar nicht von Frauen. Hä? Moment. Sollten mich ein paar Wenige doch als Frau identifizieren. Sieht so aus. Denn der Nepalese tritt in die Pedale als gebe es kein Morgen. Sein Fahrrad quietscht und kracht und mit größter Anstrengung hat er mich eingeholt und kurz darauf überholt. Ich lasse ausrollen, denn diese Taktik kenne ich schon. Überholen, kurz vor mir einscheren und wenn ich dann wieder zum Überholen ansetze schnell abbiegen und so tun als hätte man sein Ziel erreicht und den Sieg gesichert. Beim Abendessen wird er dann stolz der ganzen Familie erzählen „Heute habe ich mit dem Rad einen Amerikaner überholt!“